PUP bei Non Volio: Ferne Städte -
Gedankliche Orte: Germelshausen
Quelle: http://gutenberg.spiegel.de/gerstaec/germelsh/germels2.htm
Teil 2
»Aber wird das mein Vater
leiden?«
»Daß ich an dich denke? – kann er mir
das verwehren?«
»Nein – aber – daß Ihr das Bild da mit
Euch – in die Welt
hinaus nehmt?«
»Er kann es nicht hindern, mein Herz,«
sagte Arnold freundlich –
»aber wäre es dir selber unlieb, es in meinen Händen zu
wissen?«
»Mir? – nein!« erwiderte nach kurzem
Überlegen das
Mädchen, »wenn – nur nicht – ich muß doch den Vater
darum fragen.«
»Du bist ein närrisch Kind,«
lachte der junge Maler, »selbst
eine Prinzessin hätte nichts dagegen, daß ein
Künstler ihre Züge für sich erwirbt. Dir geschieht
kein Schade dadurch. Aber so lauf doch nur nicht so, du wildes
Ding; ich gehe ja mit – oder willst du mich hier ohne Mittagsessen
zurücklassen? Hast du die Kirchenbilder vergessen?«
»Ja, die Bilder,« sagte das
Mädchen, stehen bleibend und auf
ihn wartend; Arnold aber, der seine Mappe rasch wieder
zusammengebunden,
war auch schon im nächsten Augenblicke an ihrer
Seite, und weit schneller als vorher setzten sie ihren Weg, dem
Dorfe zu, fort.
Dieses aber lag viel näher, als Arnold dem
Klange der
gesprungenen Glocke nach vermutet hatte, denn das, was der junge
Mann von weitem nur für ein Erlendickicht gehalten, zeigte
sich, als sie näher kamen, als einen heckenumzogene Reihe von
Obstbäumen, hinter denen dicht versteckt, aber im Norden und
Nordosten von weiten Feldern umgeben, das alte Dorf mit seinem
niedrigen Kirchturme und seinen rauchgeschwärzten Häusern
lag.
Hier auch betraten sie zuerst eine gut angelegte
und feste
Straße, an beiden Seiten mit Obstbäumen bepflanzt.
Über dem Dorfe aber hing der düstere Höhenrauch, den
Arnold schon von weitem gesehen, und brach das helle Sonnenlicht,
das nur mit einem gelblich unheimlichen Scheine auf die alten,
grauen, verwitterten Dächer fallen konnte. – Arnold aber
hatte für das alles kaum einen Blick, denn die an seiner Seite
hinschreitende Gertrud faßte, als sie sich den ersten
Häusern näherten, langsam seine Hand, und diese in der
ihren haltend, schritt sie mit ihm in die nächste Straße
ein.
Ein wunderbares Gefühl durchzuckte den
jungen, lebensfrischen
Burschen bei der Berührung dieser warmen Hand, und
unwillkürlich fast suchte sein Blick dem des jungen
Mädchen zu begegnen. Aber Gertrud schaute nicht zu ihm
hinüber; das Auge züchtig am Boden haftend, führte
sie den Gast ihres Vaters Hause zu, und Arnolds Aufmerksamkeit
wurde endlich auch auf die ihm begegnenden Dorfbewohner gelenkt,
die alle still an ihm vorüber gingen, ohne ihn zu
grüßen.
Das fiel ihm erst auf, denn in all den
benachbarten Dörfern
hätte man es fast für ein Vergehen gehalten, einem
Fremden nicht wenigstens einen »Guten Tag« oder ein
»Grüß' Gott« zu bieten. Hier dachte niemand
daran, und
wie in einer großen Stadt gingen die Leute entweder still und
teilnahmslos vorbei, oder blieben auch hie und da stehen und sahen
ihnen nach – aber es redete sie niemand an. Selbst das
Mädchen grüßte keiner von allen.
Und wie wunderlich die alten Häuser mit ihren
spitzen, mit
Schnitzwerk verzierten Giebeln und festen, wettergrauen
Strohdächern aussahen – und trotz dem Sonntag war kein
Fenster blank geputzt, und die runden, in Blei gefaßten
Scheiben sahen trüb und angelaufen aus und zeigten auf ihren
matten Flächen den schillernden Regenbogenglanz. Hie und da
öffnete sich aber ein Flügel, als sie vorüberschritten,
und freundliche Mädchengesichter oder alte,
würdige Matronen schauten heraus. Auch die seltsame Tracht der
Leute fiel ihm auf, die sich wesentlich von der der
Nachbardörfer unterschied. Dabei herrschte eine fast lautlose
Stille überall, und Arnold, dem das Schweigen endlich peinlich
wurde, sagte zu seiner Begleiterin:
»Haltet ihr denn in eurem Dorfe den Sonntag
so streng, daß
die Leute, wenn sie einander begegnen, nicht einmal einen
Gruß haben? Hörte man nicht hie und da einen Hund bellen
oder einen Hahn krähen, so könnte man den ganzen Ort
für stumm und tot halten.«
»Es ist Mittagszeit,« sagte Gertrud
ruhig, »und da sind die Leute
nicht zum Reden aufgelegt; heint Abend werdet Ihr sie desto lauter
finden.«
»Gott sei Dank!« rief Arnold,
»da sind wenigstens Kinder, die auf
der Straße spielen – mir fing es hier schon an ganz
unheimlich zu werden; da feiern sie in Bischofsroda den Sonntag auf
andere Art.«
»Dort ist auch meines Vaters Haus,«
sagte Gertrud leise.
»Dem aber,« lachte Arnold, »darf
ich nicht so unversehens mittags
in die Schüssel fallen. Ich könnte ihm ungelegen kommen,
und habe beim Essen gern freundliche Gesichter um mich her. Zeig'
mir deshalb lieber das Wirtshaus, mein Kind, oder laß mich es
selber finden, denn Germelshausen wird von anderen Dörfern
keine Ausnahme machen. Dicht neben der Kirche steht auch
gewöhnlich die Schenke, und wenn man nur dem Turme folgt, geht
man nie fehl.«
»Da habt Ihr recht; das ist bei uns gerade
so,« sagte Gertrud
ruhig; »aber daheim erwarten sie uns schon, und Ihr braucht nicht
zu fürchten, daß man Euch unfreundlich aufnimmt.«
»Erwarten sie uns? ah, du meinst dich und
deinen Heinrich? Ja,
Gertrud, wenn du mich heute an dessen Stelle nehmen wolltest, dann
bleibe ich bei dir – so lange – bis du mich selber wieder fort
gehen hießest.«
Er hatte die letzten Worte fast unwillkürlich
mit herzlicher
Stimme gesprochen und leise dabei die Hand gedrückt, die noch
immer die seine gefaßt hielt, da blieb Gertrud plötzlich
stehen, sah ihn voll und groß an und sagte:
»Wolltet Ihr das wirklich?«
»Mit tausend Freuden,« rief der junge
Maler, von der wunderbaren
Schönheit des Mädchens ganz übermannt. Gertrud
erwiderte aber nichts weiter darauf, und ihren Weg fortsetzend, als
ob sie sich die Worte ihres Begleiters überlege, blieb sie
endlich vor einem hohen Hause stehen, zu dem eine mit
Eisenstäben verwahrte, breite steinerne Treppe hinauf
führte, und sagte ganz wieder mit ihrem früheren
schüchternen und verschämten Wesen:
»Hier wohne ich, lieber Herr, und wenn's
Euch freut, so kommt mit
hinauf zu meinem Vater, der stolz darauf sein wird, Euch an seinem
Tische zu sehen.«
Ehe Arnold aber nur etwas darauf erwidern konnte,
trat oben auf der
Treppe schon der Schulze in die Türe, und während ein
Fenster geöffnet wurde, aus dem der freundliche Kopf einer
alten Frau herausschaute und ihnen zunickte, rief der Bauer:
»Aber Gertrud, heint bist du lang
ausgeblieben, und schau', schau',
was sie für einen schmucken Gesellen mitgebracht hat!«
»Mein bester Herr –«
»Nur keine Umstände auf der Treppe –
kommt herein, die
Klöße sind fertig und werden sonst hart und kalt.«
»Das ist aber nicht der Heinrich,«
rief die alte Frau aus dem
Fenster. »Hab' ich's denn nicht immer gesagt, daß der nicht
wiederkäme?«
»Schon gut, Mutter; schon gut!« meinte
der Schulze, »der tut's
auch,« und dem Fremden die Hand entgegenstreckend fuhr er fort:
»Schön Willkommen in Germelshausen, mein junger Herr, wo
Euch
das Mädel auch mag aufgelesen haben. Und jetzt kommt herein
zum Essen und langt zu nach Herzenslust – alles weitere
können wir nachher besprechen.«
Er ließ dem jungen Maler auch wirklich
keinen weiteren Raum
zu irgend einer Entschuldigung, sondern derb seine Hand
schüttelnd, die Gertrud losgelassen hatte, sobald er den
Fuß auf die steinerne Treppe setzte, faßte er ihn
zutraulich unter den Arm und führte ihn in die breite und
geräumige Wohnstube ein.
Im Hause selber herrschte eine dumpfe, erdige
Luft, und so gut
Arnold die Gewohnheit des deutschen Bauern kannte, der sich in
seinem Zimmer am liebsten von jeder frischen Luft abschließt
und selbst im Sommer nicht selten einheizt, um die ihm behagliche
Brathitze zu erzeugen, so fiel es ihm doch auf. Der schmale
Hausgang hatte dabei ebenfalls wenig Einladendes. Der Kalk war von
den Wänden gefallen und schien eben nur flüchtig beiseite
gekehrt zu sein. Das einzige erblindete Fenster im hintern Teile
desselben konnte kaum ein notdürftiges Licht hereinwerfen, und
die Treppe, die in das obere Stockwerk führte, sah alt und
zerfallen aus.
Es blieb ihm aber nur wenig Zeit, das zu
beobachten, denn im
nächsten Augenblicke schon warf sein gastlicher Wirt die
Türe der Wohnstube auf, und Arnold sah sich in einem nicht
hohen, aber breiten und geräumigen Zimmer, das frisch
gelüftet, mit weißem Sand gestreut und mit dem
großen, von schneeigen Linnen bedeckten Tisch in der Mitte,
gar freundlich gegen die übrige verwilderte Einrichtung des
Hauses abstach.
Außer der alten Frau, die jetzt das Fenster
geschlossen hatte
und ihren Stuhl zum Tisch rückte, saßen noch ein paar
rotbäckige Kinder in der Ecke, und eine rüstige
Bauernfrau – aber auch in ganz anderer Tracht als die der
Nachbardörfer – öffnete eben der mit einer großen
Schüssel hereinkommenden Magd die Türe. Und jetzt
dampften die Klöße auf dem Tische, und alles
drängte an die Stühle der willkommenen Mahlzeit entgegen;
keines aber setzte sich, und die Kinder schauten mit, wie es Arnold
vorkam, fast ängstlichen Blicken auf den Vater.
Dieser trat zu seinem Stuhle, lehnte sich mit dem
Arm darauf und
sah still und schweigend, ja finster vor sich nieder. – Betete er?
Arnold sah, daß er die Lippen fest zusammengepreßt
hielt, während seine rechte Hand zusammengeballt an der Seite
niederhing – in diesen Zügen lag kein Gebet, nur starrer, und
doch unschlüssiger Trotz.
Gertrud ging da leise auf ihm zu und legte ihre
Hand auf seine
Schulter, und die alte Frau stand ihm sprachlos gegenüber und
sah ihn mit ängstlich Blicken an.
»Laßt uns essen!« sagte da
barsch der Mann – »es hilft doch
nichts!« und seinen Stuhl beiseite rückend und seinem Gaste
zunickend, ließ er sich selber nieder, ergriff den
großen Schöpflöffel und legte allen vor.
Arnold kam das ganze Wesen des Mannes fast
unheimlich vor, und in
der gedrückten Stimmung der übrigen konnte er sich
ebenfalls nicht behaglich fühlen. Der Schulze war aber nicht
der Mann, der sein Mittagsessen mit trüben Gedanken verzehrt
hätte. Wie er auf den Tisch klopfte, trat die Magd wieder
herein und brachte Flaschen und Gläser, und mit dem kostbaren
alten Wein, den er jetzt einschenkte, kam bald ein ganz anderes,
fröhlicheres Leben in alle Tischgenossen.
Durch Arnolds Adern strömte das herrliche
Getränk wie
flüssiges Feuer – nie im Leben hatte er etwas Ähnliches
gekostet –, und auch Gertrud trank davon und die alte Mutter, die
sich nachher an ihr Spinnrad in die Ecke setzte und mit leiser
Stimme ein kleines Lied von dem lustigen Leben in Germelshausen
sang. Der Schulze selber aber war wie ausgewechselt. So ernst und
schweigsam er vorher gewesen, so lustig und aufgeräumt wurde
er jetzt, und Arnold selber konnte sich dem Einflusse dieses
kostbaren Weines nicht entziehen. Ohne daß er eigentlich
genau wußte, wie es gekommen, hatte der Schulze eine Violine
in die Hand genommen und spielte einen lustigen Tanz, und Arnold,
die schöne Gertrud im Arm, wirbelte mit ihr in der Stube so
toll herum, daß er das Spinnrad umwarf und die Stühle
und gegen die Magd anrannte, die das Geschirr hinaustragen wollte,
und allerhand lustige Streiche trieb, daß sich die
übrigen darüber vor Lachen ausschütten wollten.
Plötzlich ward alles still in der Stube, und
als sich Arnold
erstaunt nach dem Schulzen umschaute, deutete dieser mit seinem
Violinbogen nach dem Fenster und legte dann das Instrument wieder
in den großen Holzkasten zurück, aus dem er es vorher
genommen. Arnold aber sah, wie draußen auf der Straße
ein Sarg vorbeigetragen wurde.
Sechs Männer, in weiße Hemden
gekleidet, hatten ihn auf
den Schultern, und hinterher ging ganz allein ein alter Mann mit
einem kleinen, blondhaarigen Mädchen an der Hand. Der Alte
schritt wie ineinandergebrochen auf der Straße hin; die
Kleine aber, die kaum vier Jahre zählen mochte und wohl noch
keine Ahnung hatte, wer da in dem dunklen Sarg lag, nickte
überall freundlich hin, wo sie ein bekanntes Gesicht traf, und
lachte hell auf, als sich ein paar Hunde vorüber hetzten und
der eine gegen die Treppe des Schulhauses anrannte und sich
überkugelte.
Nur aber so lange der Sarg in Sicht war, dauerte
die Stille, und
Gertrud trat zu dem jungen Maler heran und sagte:
»Jetzt gebt aber auf kurze Zeit eine Ruh' –
Ihr habt genug
getollt, und der schwere Wein steigt Euch sonst immer mehr in den
Kopf. Kommt, nehmt Euren Hut, und wir wollen einen kleinen Spaziergang
zusammen machen. Bis wir zurückkommen, wird es Zeit in
die Schenke zu gehen, denn heute Abend ist Tanz.«
»Tanz? – das ist recht,« rief Arnold
vergnügt, »da bin ich
grad' zur guten Zeit gekommen; und du gibst mir den ersten Tanz,
Gertrud?«
»Gewiß, wenn Ihr wollt.«
Arnold hatte schon Hut und Mappe aufgerissen.
»Was wollt Ihr mit dem Buche?« frug
der Schulze.
»Er zeichnet, Vater,« sagte Gertrud –
»er hat auch mich schon
abgemalt. Seht Euch einmal das Bild an.«
Arnold öffnete die Mappe und hielt dem Manne
das Bild
entgegen.
Der Bauer betrachtete es still und schweigend eine
Weile.
»Und das wollt Ihr mit zu Haus
nehmen?« sagte er endlich, »und
vielleicht in einer Rahmen machen und in die Stube hängen?«