Non Volio Dossier: Literarische Reisen in Nordamerika

Montauk - Max Frisch

Eine Insel an der Ostküste der USA, in der Nähe von New York, ist der Schauplatz des Wochenendes, das Max Frisch in diesem Buch beschreibt. Er erzählt, wie es kam, dass er mit Lynn, die keinen Nachnamen bekommt, ein Wochenende am Meer verbringt. Eine Art Romanze, aber eine, die keine Chance bekommt: Er ist doppelt so alt wie sie, und er fliegt am Dienstag wieder zurück. Er erzählt, was sie tun, wieso sie es tun, und dass das Ganze am Ende ein wenig langweilig gewesen sein muss. Er kommt ins Nachdenken, über sich und sein Vergangenheit. Erschienen 1975, erzählt das Buch vom Mai 1974. Frisch ist auf Lesereise in den USA, sein Verleger hat eine Tour zusammengestellt, der Verlag betreut das. Dort arbeitet Lynn und es kommt wie in so vielen Geschichten: Der alternde Schriftsteller und die junge Frau (64 und Anfang 30) machen einen Ausflug. Sein Englisch ist mäßig, sie nicht sonderlich an seinem Leben interessiert, beide nicht wirklich verliebt, beide genießen die Abwechslung, den Tapetenwechsel. Er zahlt, sie sucht das Hotel aus. In Montauk landen sie, am äußersten östlichen Ende von Long Island, über fast 200 km östlich von New York. Die Gegend, durch die Frisch und Lynn wandern, hatte noch Walt Whitman zu einem Gedicht inspiert.

From Montauk Point
I stand as on some mighty eagle's beak,
Eastward the sea absorbing, viewing, (nothing but sea and sky,)
The tossing waves, the foam, the ships in the distance,
The wild unrest, the snowy, curling caps – that inbound urge and urge of waves,
Seeking the shores forever.

Walt Whitman: Leaves of Grass

Ähnlich wie bei Whitman ist das Wetter mies, Frisch und Lynn sitzen am Strand, betrachten die Wellen, schweigen. Zeit genug für ihn, sein Leben Revue passieren zu lassen. Seine Jugend, sein Studium, sein Liebesleben, seine Karriere. In einer wilden Reihe, teilweise frei assoziierend, Collage-artig zusammenmontiert, läßt Frisch Menschen seiner Vergangenheit erscheinen, und erzählt von ihnen, von seinem eigenen Verhältnis zu ihnen. Er, Frisch, ist naturgemäß immer im Mittelpunkt und er erscheint in einer Reihe dieser Geschichten weder sympathisch noch positiv. Im Gegenteil, es ist die offene Selbstkritik, die seine Erzählung auszeichnet. Vor allem im Verhältnis zu Frauen. Diese Geschichten zu entwirren erfordert einige Konzentration, da er von der einen zur anderen zu springen scheint, viel ist von Ingeborg Bachmann die Rede, aber auch von Marianne und Käte und noch ein paar anderen.
So kommt dieses Buch an eine "erinnerte Autobiografie" heran, mit enormen Lücken und ohne Kontinuität, aber in der Erinnerung dann doch ein rundes Bild ergebend. Es sind diese Passagen, die Frisch als starken Erzähler erkennen lassen - seine Reise nach Montauk hingegen bleibt so grau und trist wie das Wetter im Mai 1974. Nach dem gemeinsamen Wochenende verlieren sich Lynn und Max aus den Augen, die Geschichte ist vorbei.


Eine Rezension mit einigen Textzitaten unter http://www.dieterwunderlich.de/Frisch_montauk.htm

© Matthias Bode und non volio 2004