PUP bei Non Volio: Ferne Städte - Gedankliche Orte


Heidelberg

In seinem Gedichtband "Buch der Zeit" hat Arno Holz das ultimative Heidelberg-Gedicht verfasst. Im Abschnitt „Literarische Liebenswürdigkeiten“ heißt es ...

Wie es kam

Sie sassen in Walhall und tranken,
Die Kukukuhr schlug Eins,
Patagonier, Inder und Franken,
Confuzius, Kant und Prinz Heinz.

Sie sassen und tranken und Plato
- Der Windhund sass neben Silen! -
Silentium, rief er, bis Dato
Geht nichts mir über Athen!

Athen mit seiner Athene
Und Phidias, dem griechischen Kiss,
Athen und notabene
Seine Akropolis!

Virgil zerschlug seinen Humpen
Und brüllte: Rom, Hund, Rom!
Auch sein Nebenmann liess sich nicht lumpen:
O Stadt am Gangastrom!

Teut Michel pries keusch Buxtehude
Und machte dazu: Hem Hem!
Und Salomo, der Jude,
Plädirte: Jerusalem!

Napoli vedi e mori!
Ein Kerl im Frack hat's geschnalzt,
Bis meuchlings ein frecher Mahori
Ihm gründlich die Suppe versalzt.

Da erhub sich vom goldenen Stuhle,
Das Trinkhorn in der Hand,
Der alte König von Thule
Und küsste sein Burschenband.

Es blitzte sein Schläger im Weine,
Es klang so voll, so weich:
Alt Heidelberg, du Feine,
Du Stadt an Ehren reich!

Alt Heidelberg, du Feine -
Wie das ins Herz ihm schnitt!
Er sang es nicht mehr alleine,
Zehntausend sangen es mit!

Es sang es der ganze Chorus,
Childe Harold brummte: All right!
Und selbst der König Porus
Rief: Wetter, das Ding hat Schneid!
Derweilen, draussen vorm Thore,
Stand lauschend ein deutscher Scholar,
Der eben seiner Lore
Lachend entlaufen war.

Der hatte kein Wörtlein verloren,
Der fing einen Sonnenstrahl
Und gab ihm verträumt die Sporen
Und ritt ins Neckarthal.

Und heute, im Abendscheine,
Jeder Vogel singt es vom Blatt:
Alt Heidelberg, du Feine,
Alt Heidelberg, du Stadt!


Erstdruck: Zürich 1886. Der Text folgt der zweiten, erweiterten Ausgabe: Berlin (F. Fontane) 1892. Wir folgen hier der DIGITALEN BIBLIOTHEK:  Holz: Buch der Zeit, S. 70. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 94250 (vgl. Holz-Zeit, S. 68)]

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