Marginalia Futurologica 9 (2004)

Science Fiction für Historiker

Eine Rezension zu "Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein" von Arkadij und Boris Strugatzki

Cover der Buch-zum-Film-Ausgabe

Es ist nicht leicht ein Gott zu sein, und die Brüder Strugatzki beweisen das auf eine sehr eindrückliche Weise in diesem Science-Fiction-Klassiker, der eigentlich unter die Rubrik "SF für Historiker" fällt.

Der "Gott" des Titels, dem es nicht leicht fällt, einer zu sein, ist ein raumfahrender Historiker, von einem Forschungsinstitut der Erde ausgesandt wurde, auf einem fernen Planeten die Entwicklung der Gesellschaft zu beobachten. Dabei gilt für sie die Regel, sich nicht entscheidend in den Lauf der Dinge einzumischen, wohl aber durch kleinere Aktionen hier und da dem Fortschritt zu dienen. Das Dilemma Antons (ohne Nachnamen), der vor Ort als Don Rumata auftritt, besteht nun darin, dass die Zeit, in der er sich aufhält, eine außerordentlich brutale ist. Ein ungeheuer dreckiges Land, stumpfsinnig und verroht, wird von einer rücksichtslos brutalen Regierung beherrscht, für die Massaker ein legitimes Mittel der Politik sind. Was tut man nun, wenn man mit der Technik und dem Wissen einer raumfahrenden Zukunft ausgestattet ist, in einer Kultur am Übergang vom Mittelalter zur frühen Neuzeit? Es klassisches Zeitreise-Dilemma, wobei die Strugatzkis es mit dem Kniff der Beobachtung einer fremden Kultur vermeiden, sich mit den Problemen von Zeitreise-Geschichten herumzuplagen.

Vor diesem Hintergrund ist klar, warum das Buch als "SF für Historiker" angesehen werden muss. Die Autoren sind belesen und sie lassen es die Leser wissen. Ihre Darstellung des Landes, in dem die Handlung abläuft, ähnelt strukturell dem Frankreich der Religionskriege des 16. Jahrhunderts. Dem entsprechend denken die menschlichen Beobachter auch darüber nach, ob der Gewaltherrscher die Rolle Richelieus einnehmen kann und damit den Absolutismus vorbereiten kann. Sollte dem so sein, müssen seine Taten dann wohl oder übel als notwendige Opfer einer Modernisierung hingenommen werden. Nur dauerten die französischen Bürgerkriege recht lange, waren verlustreich und die Bartholomäusnacht war nicht das einzige Massaker in jenen Jahren. Obendrein gab es noch keine Duschen und keine moderne Zahnhygiene. Wie müßte sich ein moderner - zeitreisender - Besucher jener Jahre fühlen? Er wird wohl, ähnlich wie Rumata im Buch, früher oder später vom Ekel gepackt, Ekel vor dem Gestank der Straßen, dem Körpergeruch, dem Müll, Ekel vor dem sinnlos brutalen Sterben auf den Straßen. Ein Historiker heute weiß, dass die Zeit danach besser war, aber mittendrin machte es bestimmt keinen Spaß. Und das sieht Rumata genauso und hadert mit seiner Beobachter-Rolle.

Die Autoren spielen mit Karl Marx' Annahme von der gesetzmäßig ablaufenden Geschichte. Denn ohne den Glauben daran könnten die Beobachter gar nicht wissen, dass sie sich am Übergang von der Herrschaft des Adels zu der des Bürgertums befinden. Unter dieser Voraussetzung jedoch erkennen Rumata und seine Kollegen Formen und Strukturen wieder, wissen, was dem Lande blüht, wenn sie nicht wenigstens ein paar Wissenschaftler und Künstler retten, wissen, dass die "Grauen Rotten" nicht weiter als faschistische Sturmtrupps wie die SA sind, wissen, dass die Tage der kleinbürgerlichen "Grauen" gezählt sind und sie in einer echten Diktatur des "Schwarzen Ordens" über die Klinge springen werden. Und so wird die Betrachtung einer Kultur auf dem Stand des europäischen 16. Jhdts. unversehens zu einer Auseinandersetzung mit dem Faschismus.

Science Fiction ist mehr als Raumschiffe und Aliens. SF kann immer wieder vertraute Sehweisen umkehren, Gewohntes gegen den Strich bürsten und beim Nachdenken helfen. Und das tun die Brüder Strugatzki hier mit einem Minimum an dem, was sonst der altgewohnte SF-Klimbim ist.


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Der Film zum Buch unter der Regie von Peter Fleischmann, gedreht als deutsch-sowjetische Ko-Produktion, erschien 1990 und floppte. Hier eine Rezension, aus der hervorgeht, dass der Film sich in Teilen deutlich vom Buch entfernt. So auch, und technisch verständlich, dadurch, dass die Handlung aus einer "Frühen Neuzeit" in ein Mittelalter verlegt wird, für das wohl die Kulissen letztlich billiger waren. Eine weitere Rezension schließt sich dem weitgehend an. Einen Verriß gibt es hier.

Von einer ähnlichen Grundannahme geht die Star Trek Next Generation-Folge "Der Gott der Mintakaner" aus. Hier entwickelt sich der in das Raster einer 45min-Folge gebrachte Konflikt aus der Erkenntnis der Beobachteten, beobachtet zu werden. Und sie beschließen, der Einfachheit halber anzunehmen, es sei halt ein Gott, der sie beobachtet... Diese Folge trägt im Englischen den Titel "Who watches the watchers", ein Iuvenal-Zitat aus Satiren VI.

© Matthias Bode und non volio 2004