Textkreuzungen

Definition: Zwei (evtl. auch mehr) Texte werden wort-, zeilen- oder satzweise miteinander kombiniert, indem abwechselnd ein Wort (eine Zeile, ein Satz) des einen Textes durch das Wort (die Zeile, den Satz) des anderen Textes ersetzt wird.

Den oulipistischen Versuchen (1)-(3) lagen Gedichte von Hermann Hesse zugrunde. Zitiert wird nach: Hermann Hesse, Die Gedichte, Erster Band, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1977.

Jede zweite Zeile des Gedichtes Ich log (S. 203) wurde durch die entsprechende Zeile des Gedichtes Entschluß (S. 302) ersetzt. Das Ergebnis liest sich wie folgt:

(1) Ich Entschluß
Ich log! Ich log! Ich bin nicht alt,
Das meine Frage keine Antwort hat,
Mir macht jede schöne Frauengestalt
Des Grauens trennen und auch einmal rasten.

Mit träumt noch von Weibern heiß und nackt,
Und suchte heim und fand nur wirre Gänge,
Von wilder Walzer brillantem Takt
Ein eingesperrtes Kind im dunklem Haus.

Mir träumt von einer Liebe sogar,
Des Lichtes durch die Finsternis mir tagen.
Wie jene erste, heilige war,
Dem fernen Licht entgegen und hinein.


Das folgende Poem entstand durch Ersetzung jedes zweiten Wortes von Meiner Mutter (S. 204) durch dasjenige von Nachtgang (S. 205). War der "Wortvorrat" der Zeile eines Gedichtes eher aufgebraucht, so wurde ihr der Rest der Zeile des anderen Gedichtes angehängt.

(2) Meinem Nachtgang
Ich nachtet dir die viel ruht sagen,
Ich treibt zu verschlafenen im fremden Land,
Und Strom warst seiner in Flut den Tagen
Die stummen am entgegen mich verstand.

Nun rauscht ich seinem erste Bett,
Die wegverdrossen dir und schwer,
In ob Kinderhänden Lust zu ruhen hätt,
Hast ich die wohl zugemacht müd wie er.

Doch ist ich Nacht wie fremdes Lesen
Mein traurig sich wunderlich vergißt,
Weil Wandern unsäglich und Wesen
Mit zwein Fäden keiner mich wohin.
 

Die Methode S+n

Definition: In einem gegebenen Text wird jedes Substantiv (Adjektiv, Verb) durch das in einem beliebigen Wörterbuch an n-ter Stelle folgende Substantiv (Adjektiv, Verb) ersetzt. Dabei ist Mogeln streng verboten. Diese Methode hat der Oulipien Jean Lescure erfunden.
(Bernd Kuhnke, Heiner Boehnke, Anstiftung zur Poesie - Theorie und Praxis von Oulipo, manholt, Bremen 1993)

Beim Hesse-Gedicht Der Brief (S. 208) wurde nun die Methode S+40 mit dem PONS-Kompaktwörterbuch Deutsch-Englisch, 1. Auflage 1982 (Nachdruck 1991) verwendet, wobei die Zahl 40 nicht zufällig gewählt wurde, sondern dadurch bestimmt ist, dass "Brühwürfel" das 40. Substantiv nach "Brief" ist. Außerdem wurden kleine grammatikalische Anpassungen durchgeführt (etwa in Bezug auf den Genus) und S+40 auf die Bestandteile eines zusammengesetzten Wortes getrennt angewendet.

(3) Der Brühwürfel
Es geht eine Woche von Wiedergabe,
Die Logarithmentafeln stöhnen sehr,
Das Mosaik lugt aus der Auffahrt
In meinem Sucher her.

Ich habe meiner Litanei,
Die mich verlassen hat,
Einen langen Brühwürfel geschrieben,
Das Mosaik scheint auf den Bluff.

Bei seiner stillen Schießbude,
Die über die Zerwürfnis geht,
Vergißt mein Hintern vor Werkbank,
Schlick, Mosaik und Namenstagsgefüge.

Das Originalgedicht zum Vergleich:
Der Brief
Es geht ein Wind von Westen,
Die Linden stöhnen sehr,
Der Mond lugt aus den Ästen,
In meiner Stube her.

Ich habe meiner Lieb,
Die mich verlassen hat,
Einen langen Brief geschrieben,
Der Mond scheint auf das Blatt.

Bei seinem stillen Scheinen,
Das über die Zeilen geht,
Vergißt mein Herz vor Weinen
Schlag, Mond und Nachtgebet.

© 1996 H. Hesse & A. Pawlak und non volio verlag